Wandern wirkt positiv auf die psychische Gesundheit! No na net!? Was Bergsportler*innen und Outdoorliebhaber*innen schon längst wissen, wurde gestern am Fachsymposium „Bergsport & Gesundheit“ des Österreichischen Alpenvereins wissenschaftlich belegt. Hier eine Zusammenfassung der inspirierenden Impulse.

High touch statt Hightech  

In den letzten Jahrzehnten nahm die Urbanisierung (Verstädterung) massiv zu. Lebten im Jahr 1940 nur 19% der Weltbevölkerung in Städten, waren es 2014 schon 54%. 2050 rechnet man damit, dass 70% der Weltbevölkerung in Städten leben. Das Leben in der Stadt führt zu veränderten Lebensbedingungen. Feinstaubbelastung, Bewegungsarmut, Diabetes, Lungenerkrankungen, Krebs etc. nehmen zu (sog. „nature deficit disorder“). Ein Mensch, der in der Stadt aufgewachsen ist, hat über Jahrzehnte eine höhere Vulnerabilität (Anfälligkeit) für Erkrankungen.

Der Bewegungsradius der Kinder ist massiv geschrumpft, mittlerweile verletzen sich mehr Kinder durch Stürze aus dem Bett als durch Stürze vom Baum. Zynisch ist der Begriff „Kinder in Käfighaltung“ gefallen. Diesen Gedanken habe ich selbst oft, wenn ich mit den Kids und meiner Hündin von der Wohnung zum eingezäunten Spielplatz und dann von dort in die eingezäunte Hundezone gehe. Wo bleibt da noch Möglichkeit zum kreativen Spielen und zur Erfahrung in der Natur?

Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen empfiehlt zur Gesundheitsförderung mindestens 2,5 Stunden pro Woche Bewegung bei mittlerer Belastung ODER 1,25 Stunden pro Woche Bewegung bei höherer Belastung UND mindestens zwei Tage pro Woche Muskelkräftigung – aufgeteilt auf möglichst viele Tage der Woche. Österreich ist jedoch keine Sportnation, nur ein Drittel der Österreicher*innen machen regelmäßig Sport, d.h. einmal pro Woche. Manche machen mehr, die breite Masse macht weniger Sport. 60% der Österreicher*innen gehen nie laufen, 40% gehen nie Rad fahren oder wandern.

Körperliche Inaktivität stellt das größte Gesundheitsproblem des 21. Jahrhunderts dar. Aber wie schafft man es die Menschen zu motivieren? Gerade Kinder und Jugendliche leben von Vorbildern. Wenn die Eltern keinen Sport machen, kommen auch ihre Kinder selten dazu. Prof. Peter Zellmann brachte es auf den Punkt: „Wir brauchen wieder High Touch statt Hightech.“

Positive Effekte von Bergsport auf die psychische Gesundheit

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Dabei sind die positiven Effekte von Bewegung längst gut untersucht. Auf der Tagung lag der Schwerpunkt auf der psychischen Gesundheit. Eine Studie von Martin Niedermeier, Jürgen Einwanger, Arnulf Hartl und Martin Kopp kam zu folgenden Ergebnissen:

* Bergwandern wirkt positiv auf die Stimmung,
* führt zu mehr Gelassenheit,
* wirkt aktivierend,
* Energielosigkeit und Anspannung werden reduziert.

Die Natur verstärkt die Effekte von Bewegung.

Interessant ist, dass die positiven Effekte von Bergwandern deutlich größer waren als beim Laufen auf dem Laufband mit derselben Belastungsintensität. Wenn Bewegung im Freien stattfindet, hat sie mehr stimmungsrelevante Effekte. Auch das Belastungsempfinden ist outdoor weniger als indoor. Es ist also wenig überraschend, dass die Prävalenz (Häufigkeit) von hohen psychischen Belastungen bei Bergsportler*innen deutlich niedriger ist.

Wesentlich ist dabei, dass die Bewegung nach unseren individuellen Bedürfnissen gestaltet ist. Die Belastungsintensität soll im mittleren Bereich liegen (ca. 70-85%). Bei höheren Belastungen kann es auch zu Überforderung, negativer Stimmung und Frust kommen. Außerdem soll die Sportart Spaß machen. Beide Faktoren sind wichtig für die intrinsische Motivation, das ist die Motivation, die aus unserem Inneren kommt und einen Nutzen für uns selbst darstellt.

Bergwandern als Therapie

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Und nun zu meinem Highlight des Tages: Ein Forschungsprojekt hat gezeigt, dass Bergwandern die Suizidgefährdung und Depressivität deutlich reduziert. Ausdrücke wie „es geht bergauf“ oder „ich bin endlich übern Berg“ kommen also nicht von ungefähr.

Die Projektgruppe rund um Dr. Fartacek wählte 20 suizidgefährdete Klient*innen aus und teilte sie in 2 Gruppen. Gruppe 1 ging 9 Wochen lang je 2-3 Mal pro Woche mit einem Bergführer wandern. Die Wanderungen dauerten ca. 2-3 Stunden und beinhalteten 300-500 Höhenmeter. Gruppe 2 fungierte inzwischen als Kontrollgruppe. Nach 9 Wochen gab es einen Wechsel. Überraschenderweise gab es keine Motivationsprobleme. Die Teilnehmer*innen mussten mindestens 2 von 3 Wanderungen pro Woche absolvieren, die meisten gingen dreimal.

Die Teilnehmer*innen berichteten von einer besseren Stimmung und weniger Angst. Suizidgedanken, Hoffnungslosigkeit und Depressivität wurden signifikant verringert. Angenehmer Nebeneffekt war auch eine Verbesserung der Ausdauerleistung.

Eine beiläufige – aber für mich sehr spannende – Erwähnung fand eine Studie von Lawlor und Hopper (2002), in der Bewegung sogar gleich effektiv wie die kognitive Verhaltenstherapie oder Medikamente war. Derartige Befunde sind enorm wichtig für die Behandlung, aber auch für die Prävention von psychischen Erkrankungen.

Wandern macht glücklich

Dr. Stefan Klein, Physiker und Philosoph, untermauerte die Ergebnisse aus der Sicht der Hirnforschung und beschreibt, wie Glück entsteht: „Wenn sich eine Situation einstellt, die in irgendeiner Weise vorteilhaft für den Organismus sein könnte, dann werden in Ihrem Gehirn bestimmte Neurohormone ausgeschüttet, die chemisch identisch sind mit Opiaten, dem Wirkstoff von Opium und Heroin. Der einzige Unterschied ist, dass diese Opioide auf vollkommen natürliche Weise entstehen – im Drogenlabor in Ihrem Kopf. Sie werden ausgeschüttet und verändern dann die Art und Weise, wie weite Bereiche des Gehirns arbeiten. Das erleben Sie als Glück.“ (Tagungsband, Seite 26)

Wo diese guten Gefühle entstehen, ist dabei egal. Beim Bergsport empfinden viele Menschen Glück, weil sie sich bewegen, in der Natur sind, Abstand zum gewohnten Alltag bekommen (buchstäblich „über den Dingen stehen“), sozialen Zusammenhalt mit Gleichgesinnten erleben und sich auch persönlich weiter entwickeln können.

Erlebnisse spielen sich außerhalb der Komfortzone ab

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Zur persönlichen Weiterentwicklung und zum Umgang mit Risiko gab die Bergsteigerin Elisabeth Steurer einen interessanten Impulsvortrag. Bergsteiger*innen gelten als risikofreudig und mitunter als fahrlässig. Lisi Steurer erklärt jedoch, dass Sicherheit eine „soziale Fiktion“ sei. Im Leben gibt es wohl nie richtige Sicherheit, wir können nur versuchen Risiko und Gefahren zu minimieren. Auch auf „gesicherten Pisten“ kann etwas passieren, aber das Risiko ist geringer als in freiem Gelände.

Die Folgen von Risikowarnungen sind häufig Aversionen (meist der Durchschnittsbevölkerung) oder gesteigertes Interesse (häufig von Jugendlichen). Außerdem steigt der Druck auf Professionist*innen. Bergführer*innen versuchen das Risiko weitgehend zu reduzieren, absolute Sicherheit wird es in der Natur und am Berg allerdings nie geben.

Es geht also darum, ein Wagnis einzugehen. Das Wagnis aus dem Haus zu gehen und etwas zu erleben. Wichtig dafür ist es als Gesellschaft, aber auch als Einzelperson eine Risikokultur zu entwickeln. Eigenverantwortung zu übernehmen anstatt alles zu institutionalisieren. Scheitern als Teil des Menschseins zu betrachten.

Wozu? Um etwas zu erleben und in den Flow zu kommen. Für das gemeinsame Erreichen von Zielen. Für Menschen, mit denen man die Erlebnisse teilen kann. Für die persönliche Weiterentwicklung. Für unsere Gesundheit … und nicht zuletzt für unser Glück 🙂

*** Wann hast Du Deine nächste Wandertour geplant? ***


Quellen und Links:

* Vorträge am Fachsymposium “Bergsport & Gesundheit” des Österreichischen Alpenvereins am 25.11.2016.

* Österreichischer Alpenverein (Hrsg.): Bergsport & Gesundheit, Tagungsband zum Fachsymposium, 25.11.2016. Hier zum Download (Link vom Nov. 2016)

* Bewegungsempfehlungen für Erwachsene, Fonds Gesundes Österreich: Hier zum Download (Nov. 2016)

Claudia